In meiner Grundschulzeit in der DDR gab es ein Fach “Heimatkunde” und abgesehen von gewissen ideologischen Verwerfungen war das kein schlechtes Fach. Noch heute kann ich mich für die Geschichte und Geschichten meiner unmittelbaren Umgebung leicht begeistern.
Darum freute ich mich auch sehr auf den Ortsrundgang durch meinen aktuellen Wohnort Pfrondorf im Rahmen der Veranstaltungsreihe Kennen Sie Tübingen mit Ortsvorsteher Siegfried Rapp.
Wegen Regens lud dieser die Gäste zunächst in den Ratssaal – der bei geschätzt 70 Teilnehmern ziemlich überfüllt war – und hielt einen kurzen Vortrag über die Geschichte des Ortes, nachzulesen z.B. in der Wikipedia.
Bevor es nach draußen ging – der Regen hatte inzwischen aufgehört – war noch ein Blick auf “die Bühne” gestattet, eine Art Archiv im Dachgeschoss mit viele alten und vergilbten Akten. Man wünschte sich, hier mal ein paar Stunden in Ruhe schmökern zu können…
Wenn man das das Rathaus verlässt uns sich umdreht, steht man – Überraschung! – direkt vor dem Rathaus. Die einzige auf der Webseite der Stadt verzeichnete Sehenswürdigkeit stand vorher als Forsthaus auf dem Einsiedel. Die Pfrondorfer haben es gekauft, Stein für Stein abgebaut und nummeriert, die ca. 5 km mit Ochsenkarren nach Pfrondorf transportiert und wieder aufgebaut. Offensichtlich war 1878 das Verhältnis von Material- und Arbeitskosten ein Anderes als heute.
Gleich um die Ecke liegt der Dorfladen – ein zum Teil ehrenamtlich betriebener Genossenschaftsladen, der erste im Landkreis Tübingen und eine wirkliche Bereicherung für das Dorf.
Noch ein Stück weiter stehen die beiden ehemaligen Schulgebäude. In einem sind inzwischen Wohnungen, in den anderen gibt es einen Jugendraum und einen für Vereine kostenfrei zu nutzender Saal.
Kurz erwähnt wurden auch benachbarte das Pfarrhaus und die Kirche, dann ging es vom Dorfzentrum aus weiter zum alten Friedhof.
Seiner Meinung nach sei der alte Friedhof der schönste Platz des Dorfes, meinte der Ortsvorsteher. Hier spenden einige große, alte Bäume Schatten, lassen aber auch genug Raum für Sonnenstrahlen. Darunter gepflegte Hecken, grüner Rasen und die Gräber vor allem der alteingesessenen Pfrondorfer Familien. Das wurde zwar nicht angesprochen, aber selbst mir waren doch so einige Namen bekannt – und ich wohne hier erst seit 5 Jahren.
Der Alte Friedhof liegt inzwischen mitten im Ort. Direkt benachbart sind etwa ein großer Spielplatz und das Seniorenzentrum, das vor einigen Jahren auf dem Grundstück des ehemaligen Bauhofs errichtet worden – gezielt dort und nicht irgendwo am Ortsrand, um auch die Alten so gut es geht in den Ort zu integrieren.
Weiter ging es an den nördlichen Ortsrand und die dort mitten im Grünen gelegene Grundschule. Der Stop war dann auch nicht auf dem Schulhof und direkt am Gebäude, sondern etwas abseits am Schulgarten und dem “Grünen Klassenzimmer”.
Der Schule droht die Einzügigkeit. Nicht nur deshalb ist in absehbarer Zeit geplant, ein neues Wohngebiet zu erschließen. Der Weg zu diesen Flächen führte aber zunächst am größten Gewerbebetrieb des Ortes vorbei, der Fa. Brennenstuhl.
Es ist der einzige Industriebetrieb des Ortes und stellt Steckdosenleisten, Leuchtmittel und ähnliches her. Die Firma wurde von dem Pfrondorfer Hugo Brennenstuhl gegründet, der noch heute dort die Geschäfte führt. Schon seit längerem wird auch international produziert, inzwischen auch in China. Aber der Hauptsitz mit Zentralverwaltung und zwei Werken mit ca. 200 Mitarbeitern ist nach wie vor in Pfrondorf.
Trotz dieser Erfolgsgeschichte wird Brennenstuhl im Ort nach meiner Beobachtung durchaus kontrovers gesehen. Die riesigen Hallen sind in der Hochebene am Südrandrand des Schönbuchs weithin sichtbar und nicht unbedingt eine Zierde. Außerdem verlaufen die Hauptverkehrswege in den Tälern, für den Lieferverkehr liegt das Werk eher ungünstig, was natürlich auch nicht unheblichen (Schwer-)Verkehr im Ort erzeugt.
Ich denke, es ist dennoch erfreulich, dass noch am Gründungsstandort produziert wird – was gerade für diese Branche wahrscheinlich nicht selbstverständlich ist. Brennenstuhl gehört zum Ort und die negativen Aspekte halten sich nach meiner Einschätzung doch in sehr, sehr engen Grenzen.
Südlich der Hallen der Fa. Brennenstuhl soll, mit einem kleinen Gewerbegebiet als Puffer, das schon angesprochene neue Wohngebiet entstehen. Ach ich stehe auf der Interessentenliste und bin gespannt ob und wann das tatsächlich klappt und wer weiß: vielleicht werde ich doch noch zum Häuslebauer.
An dieser Stelle war der Rundgang dann auch beendet, Siegfried Rapp wurde applaudiert und für die kundige und hurmovolle Vorstellung des Ortes gedankt. Dem möchte ich mich hier ausdrücklich anschließen.
Auf dem Rückweg zum Rathaus – vorbei am Feuerwehrhaus, wo gerade die Jugendabteilung übte – kam ich mit einigen Teilnehmen ins Gespräch. Neben viel Lob und – nachdem ich mich als Einheimischer geoutet hatte – interessierten Nachfragen, hörte ich mehrmals auch ein wenig Kritik. Neben den öffentlichen Gebäuden, die bei der Führung durch einen Ortsvorsteher naturgemäß im Focus standen, wurden die alten Bauernhäuser vermisst, die es doch sicher in Pfrondorf geben müsse.
Nun war mir auch schon aufgefallen, dass wir vom nach Rathaus aus den alten Ortskern recht schnell verlassen hatten und vor allem Ortsteile durchlaufen hatten, die in den 1970ern bis 1990ern bebaut wurden. Da auch mich der alte Ortskern interessiert hätte – und ich halbwegs weiß, wo dieser liegt – verlängerte ich den Rundgang noch in diesen Bereich.
Im Doktorshof sollen die ältesten Häuser des Ortes stehen. Ob es dieses hier ist, weiß ich nicht genau, jedenfalls sieht es schon deutlich anders aus als die geschiegelten Häuschen in den Neubaugebieten.
Zur Herkunft des Ortsnamens gibt es mehrere Theorien, eine zieht eine Verbindung zu den vielen Brunnen im Dorf. Einer der schönsten ist der “Bei der Wette”.
Obwohl ich die Straßen hier nun schon seit 5 Jahren kenne, fiel mir erst jetzt, wo ich bewusst danach suchte, auf, dass es tatsächlich nur wenige als “alt” erkennbare Häuser gibt. Auch im alten Ortskern wurde offensichtlich viel neu gebaut oder alte Häuser modernisiert und umgebaut. Im Vergleich zu den neueren Teilen des Dorfes ist die Bebauung hier aber merklich dichter und es es gibt ein Nebeneinander von Neu und Alt. Wobei das Neue nach meinem Eindruck dominiert.
Auf dem Weg nach Hause habe ich dann doch noch ein paar Zeugnisse des “alten” Pfrondorf gefunden. Einen efeubewachsenen Bauernhof z.B., mit Mistgrube direkt an der Straße – allerdings schon nicht mehr in Benutzung.
Wenige Schritte weiter dieses windschiefe Häuschen mit fotogener Außentreppe:
Ein vorbildlich gepflegtes Fachwerkhaus…
und dieses verschindelte Häuschen, von dem ich vermute, das es ein Forsthaus ist oder war. Das württembergische Wappen über der Tür lassen mich das jedenfalls vermuten.
Ein weiteres altes Haus hatte ich noch im Sinn, dort fand ich aber nur noch einen Bagger und Trümmer. Es musste Platz machen für Neues. Der Ort entwickelt sich eben weiter und das ist auch gut so – es ist schließlich ein lebendiges Dorf und kein Freilichtmuseum.
Auch wenn es reiner Zufall war, dass wir jetzt hier wohnen: wir leben gerne in Pfrondorf. Der Rundgang hat mir wieder einmal gezeigt, warum diese Örtchen so lebenswert ist. Dafür sorgt nicht nur die Nähe und die gute Anbindung an Tübingen – sondern auch die Mischung aus Neuem und Alten, eine passende Infrastruktur aus Nahversorgung, Kindergärten, Schule u.s.w. und vor allem – was so ein Rundgang nicht vermitteln kann – die freundliche und positive Grundstimmung in diesem Dorf.